08.01.2025

Rechtsunsicherheit bremst dezentrale Versorgung

Der EuGH hat zu einem Vorabentscheidungsersuchen des BGH (EnVR 83/20) entschieden, dass die Regelungen zur Kundenanlage in § 3 Nr. 24a i. V. m. Nr. 16 EnWG nicht mit der Strombinnenmarktrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/944) vereinbar sind. Folgt das BGH-Urteil uneingeschränkt der EuGH-Vorabentscheidung, bestünde das Risiko, dass eine Vielzahl von Kundenanlagen dem vollständigen Pflichtenkatalog eines regulierten Verteilnetzbetreibers unterworfen würden. Das betrifft Mieterstromprojekte, Modelle der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung, Quartierskonzepte, industrielle Eigenversorgungsnetze oder Direktleitungen mit Drittversorgung. Welche Folgen hätte das? 

Rechtsunsicherheit bremst den Ausbau dezentraler Erzeugung aus 

Für Unternehmen, die dezentrale Versorgungskonzepte umsetzen, ist jetzt völlig unsicher, welche rechtlichen Konsequenzen für Bestands- und Neuprojekte drohen. Bis rechtliche Klarheit geschaffen wird, müssen Anlagenbetreiber Einzelfallprüfungen und gegebenenfalls ordnungsrechtliche Konsequenzen (z.B. infolge einer fehlenden Netzbetriebserlaubnis nach § 4 EnWG) sowie Missbrauchsverfahren (§ 31 EnWG) befürchten. Investoren werden dadurch abgeschreckt, was den Ausbau dezentraler Versorgung erheblich hemmen wird. 

Gefährdung der Wirtschaftlichkeit dezentraler Konzepte 

Dezentrale Erzeugungskonzepte wie Mieterstrom und industrielle Eigenversorgung sind bisher wirtschaftlich attraktiv, weil sie von Netzentgelten, Umlagen und netzgebundenen Abgaben befreit sind. Mieterstromprojekte erhalten zudem einen Zuschlag, der voraussetzt, dass die Lieferung ohne Durchleitung durch ein Netz erfolgt. Sollte dies durch die Neuregelung entfallen, könnten viele Projekte unwirtschaftlich werden. Dies wäre ein Rückschlag für die Energiewende und den technologischen Fortschritt. 

Bürokratiezuwachs befürchtet 

Eine Überführung von Kundenanlagen (nach § 3 Nr. 24a EnWG) in Netze mit dem heutigen Regulierungsaufwand würde zu einem erheblichen Bürokratiezuwachs und zur Zuweisung einer völlig anderen Marktrolle führen. Anlagenbetreiber müssten dann Aufgaben wie die Abwicklung von Lieferantenwechseln, die Auszahlung der EEG-Vergütung und die Durchführung von Geschäftsprozessen zur Kundenbelieferung übernehmen. Dies würde die Anzahl der Netzbetreiber drastisch erhöhen und die Wirtschaftlichkeit dieser Konzepte stark beeinträchtigen. 

Soziale Ungerechtigkeit für Mieter in Mehrfamilienhäusern 

50 % der Menschen wohnen in Deutschland in Mehrfamilienhäusern. Mit Konzepten wie dem Mieterstrom und der gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung hatten diese Haushalte bisher die Chance, ebenfalls günstigen Strom vom eigenen Dach zu beziehen, ohne Netzentgelte und damit verbundene Abgaben und Umlagen zu zahlen. Während das für Anlagenbetreiber in Einfamilienhäusern weiterhin möglich ist, besteht durch die Konsequenzen des Urteils das Risiko der strukturellen Benachteiligung von Bewohnern von Mehrfamilienhäusern. Wenn Betreiber von Mieterstrom- und gemeinschaftlichen Gebäudeversorgungsanlagen künftig Netzbetreiberpflichten nachkommen müssten, dann müssten ihre Kunden auch zusätzlich Netzentgelte zahlen. Ihnen würde dann nicht mehr die gleiche Möglichkeit gewährt wie Hausbesitzern. Werden diese Projekte gebremst, dann wird die innerstädtische Energiewende gebremst – gerade dort, wo der Stromverbrauch hoch ist und das PV-Aufdachpotenzial riesig. 

Forderung nach Klarheit durch Bundesnetzagentur 

Bis zur nächsten EnWG-Novelle könnten Monate vergehen. In dieser Zeit bitten wir die Bundesnetzagentur um klare Aussagen zu den Konsequenzen für Bestands- und Neuanlagen. Insbesondere sollte klargestellt werden, dass gebäudeinterne Elektroverteilungen und vom Netzbetreiber überlassene Leitungen auf Grundstücken weiterhin nicht betroffen sind. Es darf nicht sein, dass der dringende PV-Ausbau durch eine Rechtsunsicherheit auf Eis gelegt wird. Die Bundesnetzagentur sollte klarstellen, dass Bestandsschutz für bestehende Anlagen gilt und Investitionen in neue Kundenanlagen weiterhin möglich sind. 

Akuter Handlungsbedarf für den Gesetzgeber 

Deutschland will seine Energieversorgung resilienter und diverser aufstellen und die Akzeptanz der Energiewende vorantreiben. Um das sicherzustellen, besteht dringender Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Ziel muss sein, hier so bald wie möglich Rechtssicherheit für dezentrale Versorgungskonzepte zu schaffen und das EnWG dahingehend zu novellieren, dass es europarechtskonform dezentrale Versorgungskonzepte unterstützt.  

 

Diese Branchenreaktion wurde vom Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. organisiert. Neben BEN haben zahlreiche Mieterstromanbieter und Energieversorger diese Stellungnahme unterzeichnet. Die gesamte Liste finden Sie hier

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